Wenn wir weniger Müll verursachen ist das eine tolle Sache! Und gar nicht so schwer. Doch einen Zero Waste Lebensstil anzustreben, bei dem wir keinen Müll mehr verursachen, bzw. kaum Müll, ist nicht automatisch klimafreundlich. Je nach Herangehensweise, kann es sogar schlechter fürs Klima sein. Denn konzentrieren wir uns zu sehr auf eine Sache, nämlich ausschließlich auf den Müll den wir vermeiden wollen, dauert es oft nicht lange und wir beginnen uns zu verzetteln. Und andere wichtige Aspekte auszublenden.
Ich gebe zu, ein Zero Waste Lebensstil sieht wirklich ziemlich schick aus. Zumindest erblasse ich immer wieder vor Neid (obwohl ich es mittlerweile besser weiß), wenn ich Impressionen aus einem Zero Waste Haushalt auf Instagram angezeigt bekomme. Es sieht einfach immer so aufgeräumt, natürlich und einfach irgendwie schön aus. Wer mag schon grelle Plastikverpackungen…
Doch hier soll es nicht um die Optik gehen, sondern darum, ob ein Zero Waste Lebensstil auch wirklich klimafreundlicher ist, also lasst uns auf die Fakten schauen.
Emissionen durch öffentliche Einrichtungen (Schulen, Verwaltungen, Krankenhäuser etc.) außen vor gelassen, kommen Deutsche durchschnittlich auf einen jährlichen pro Kopf Ausstoß von etwa 10,1 Tonnen CO₂. Davon entfallen durchschnittlich 18 % auf unsere Ernährung, der Teil wo wir vermeintlich einfach weniger Müll verursachen könnten. Was uns zum ersten Punkt bringt.
1. Bei Zero Waste kaufen wir häufiger tierische Produkte, als wenn wir mehr Müll in Kauf nehmen würden
Werfen wir einen Blick auf das Tortendiagramm oben, sehen wir, dass unsere Ernährung durchschnittlich 18 % unserer jährlichen Gesamtemissionen ausmachen. Ernähren wir uns wie der deutsche Durchschnitt – 4-mal pro Woche Fleisch und 100 Gramm Wurst oder Schinken pro Tag, plus Milchprodukte – kommen wir auf 1,8 Tonnen CO₂ pro Jahr. Stellen wir jedoch unsere Ernährung auf eine überwiegend pflanzliche um, können wir etwa 1 Tonne CO₂ einsparen und kommen nur noch auf etwa 0,8 Tonnen CO₂ im Jahr.
Versuchen wir jedoch Müll zu vermeiden, wird die Tatsache, dass pflanzliche Produkte (ganz egal ob oder wie sie verpackt sind) klimafreundlicher sind als tierische Produkte (auch wenn sie unverpackt sind), von unserem Gedanken an Plastikmüll überlagert. Und wir greifen eher zum Käse, den wir an der Theke unverpackt kaufen können, oder zur Kuhmilch in der Pfandflasche, weil der Tofu in Plastik verpackt ist und auch die pflanzliche Milch derzeit fast ausschließlich im Karton verkauft wird.
2. Bei Zero Waste greifen wir eher zu Produkten in Einweggläsern
Oftmals natürlich mit dem Gedanken sie wiederzuverwenden. Ich persönlich kann jedoch gar nicht so viel Marmelade einkochen, wie ich Einweggläser habe. Außerdem sind leider nicht alle Einweggläser wirklich zum Einkochen und wiederverwenden geeignet. Bereits nach kurzer Zeit, kann es passieren, dass Glas absplittert oder der Deckel nicht mehr richtig hält. Was bedeutet: ab in den Glasmüll. Und sowohl die Herstellung von Glas, als auch der Transport und wiederum die Entsorgung sind sehr energieintensiv und verbrauchen mehr Treibstoff, weil Glas so viel schwerer ist als Plastik. Wer einmal gesehen hat, wie Glasmüllcontainer geleert werden, weiß was ich meine.
Stehen wir also vor der Wahl, ob wir ein veganes Produkt im Einwegglas kaufen oder ein tierisches unverpacktes Produkt, gewinnt weiterhin das vegane Produkt. Doch wenn wir vor der Entscheidung stehen, ob wir Tomatensauce oder Apfelmus im Glas oder im Karton kaufen, dann können bzw. sollten wir mit gutem Gewissen zum Karton greifen. Auch wenn es anfangs ungewohnt sein kann. Netter Nebeneffekt: es vereinfacht den Einkauf und die Lagerung zuhause enorm. Und es gibt keine Scherben, wenn mal etwas runterfällt.
3. Wir riskieren, dass Lebensmittel verderben
Über Gurken in Plastikfolien gab es schon hitzige Debatten und auch entsprechende Petitionen an Lebensmittelketten, doch bitte mit dem Plastikwahnsinn aufzuhören und die Gurken endlich nicht mehr einzufolieren. Sind wir im Supermarkt und wollen eine Gurke kaufen, sticht uns besonders die Folie ins Auge. Wir wollen Müll vermeiden und die Folie um die Gurke stört uns wahnsinnig.
Was wir nicht sehen, sind die Gurken, die verderben oder extrem viel Flüssigkeit verlieren, da sie nicht einfoliert waren und nie den Weg ins Regal geschafft haben. Im Schnitt macht die Verpackung nur etwa 3 – 3,5 % der Gesamtemissionen von Lebensmitteln aus – bei Gurken sind es sogar nur 2 %. Will heißen: Es ist ziemlich unklug, 2 % Emissionen einzusparen und gleichzeitig zu riskieren, dass 98 % der Emissionen (nämlich für Produktion, Transport der Gurke usw.) vollkommen umsonst waren, wenn nämlich die Gurke verdirbt.
Das tückische an CO₂-Emissionen ist, dass sie meistens unsichtbar sind. Natürlich wissen wir, dass wir beim Autofahren CO₂ ausstoßen. Doch wir sehen nicht die gesamte Menge an verursachtem CO₂ am Ende eines Monats, so wie wir bei einem Blick in unsere Mülltonnen vor einem unfassbar großen Müllberg stehen, dessen Anblick uns jedes Mal wieder fassungslos macht. Und auch bei den Gurken wissen wir, dass sie nicht einfach ohne Treibstoffeinsatz im Supermarktregal gelandet sind. Aber alles was wir sehen, ist die vermeintlich überflüssige Folie.
Indem wir stärker auf die unsichtbaren Emissionen achten, können wir bessere Entscheidungen treffen und vermeiden, dass Lebensmittel verderben.
4. Wir verschwenden sehr viel Zeit
Es beginnt meist mit einer zeitintensiven Recherche nach möglichst plastikfreien oder umweltfreundlichen Produkten, gefolgt von deren Beschaffung, denn oftmals sind besonders umweltfreundliche oder plastikfreie Produkte nicht in jedem Laden um die Ecke zu haben. Je nachdem wie fokussiert wir sind, endet es damit, dass wir den Plastik- bzw. Müllaspekt über alles andere stellen und unsere Prioritäten komplett auf Zero Waste legen. Im Extremfall fährt man mit dem Auto zum Unverpackt-Laden, doch so offensichtlich muss es gar nicht sein.
Ich zum Beispiel habe eine Zeit lang versucht Wegwerfwindeln um jeden Preis zu vermeiden. Tagsüber gelang es mir sehr gut, meinem Kind nur Stoffwindeln anzuziehen, wir hatten eine gut funktionierende Routine, sogar unterwegs. Doch nachts war es einfach nur furchtbar. Ich musste mehrmals aufstehen zum wickeln und musste am Ende doch das Bett frisch beziehen. Nach ein paar Nächten ohne Wegwerfwindel, hatte ich genug. Erst war ich unfassbar frustriert und hielt mich für nicht konsequent genug, doch irgendwann dämmerte mir, dass ich einem großen Fehler aufsaß.
Zum einen, war es besser eine Windel pro Tag im Müll zu haben, als ständig eine zusätzliche Ladung Wäsche für Waschmaschine und Trockner. Zum anderen hatte ich so auch viel mehr Energie um andere, weitaus größere Probleme anzupacken. Seitdem versuche ich, wann immer ich mich zu sehr auf ein Problem fixiere, nach der 80 / 20 Regel vorzugehen. Die Wegwerfwindeln am Tag zu ersetzen, waren für mich etwa 20 % des Aufwands mit 80 % Nutzen bzw. Müllvermeidung, während ich einen unverhältnismäßig hohen Aufwand hatte, als ich versuchte die letzten 20 % des Mülls zu vermeiden.
Statt also einen Bereich zu perfektionieren und dabei sehr viel Zeit für relativ wenig Nutzen zu opfern, hatte ich plötzlich mehr Zeit um andere Dinge anzupacken, für die bisher keine Zeit war. Ganz konkret sollten wir lieber Zeit investieren um unsere Heizungsanlage optimal einzustellen oder unsere Heizkörper, wenn nötig, zu entlüften, statt in der Zeit ein eigenes Waschmittel herzustellen.
5. Wir werden blind für andere Probleme
Wenn wir mantramäßig und um jeden Preis plastikfrei oder so plastikfrei wie eben möglich leben wollen, passiert es sehr schnell, dass andere wichtige Dinge liegen bleiben und wir es noch nicht einmal merken. Der Psychologe Daniel Kahneman nennt das Phänomen, wenn wir über ein Thema nachdenken und es zum wichtigsten und vorherrschenden Thema machen, die Fokussierungsillusion.
„Nichts im Leben ist so wichtig, wie Sie denken, während Sie darüber nachdenken.“
Daniel Kahneman (2012)
Auch hier kommt wieder die Gurke ins Spiel: Fokussiert auf die Plastikfolie, sehen wir die Emissionen von der Gurkenproduktion nicht und treffen daher eine schlechtere Entscheidung, als wenn wir weniger fokussiert auf den Plastikmüll wären. Statt also uns auf einen Aspekt oder ein Thema zu versteifen, sollten wir versuchen das große Ganze im Blick zu behalten.
Wir müssen lernen zu differenzieren
Was auch wirklich wichtig ist im Hinterkopf zu behalten: Nicht alles Plastik ist schlecht. Während bis vor Kurzem hauptsächlich Listen im Internet kursierten, wie wir möglichst alles Plastik vermeiden können, wie hier, gibt es mittlerweile auch immer mehr differenzierte Übersichten, wie diese hier. Bitte versteht mich nicht falsch, ich hasse Plastikmüll. Doch ich weiß auch, dass ich es nicht schaffe, die unerschöpflichen Listen à la “111 Wege um plastikfrei zu leben” abzuarbeiten. Einfach weil zu viele andere wichtige Dinge dabei auf der Strecke bleiben würden.
Nach einem schmerzhaften Selbstversuch möglichst plastikfrei zu leben, siehe hier, versuche ich natürlich immer noch Plastik oder Müll im Allgemeinen zu vermeiden. Doch sobald es meine zeitlichen Ressourcen übermäßig beansprucht bin ich raus – ganz konkret steige ich bei diesen Listen spätestens dann aus, wenn es darum geht Mülltüten selbst zu falten oder Waschmittel selbst herzustellen (been there, done that – von diesem eher tragisch/komischen Abschnitt in meinem Leben berichte ich bald noch).
Wenn wir also in Zukunft vor einer (Kauf-)Entscheidung stehen, sollten wir nicht nur den Müllaspekt im Hinterkopf haben, sondern auch die vielen anderen, oft weit wichtigeren Aspekte, bedenken. Im Idealfall verschieben wir unseren Fokus von “Plastikfrei um jeden Preis” hin zu “so klimafreundlich wie möglich”.
Quellen
Drexel, Christof (2019): Warum Meerschweinchen das Klima retten. Einfache Strategien für eine bessere CO2-Bilanz. Gräfe und Unzer Verlag, München.
ecoplus, BOKU, denkstatt, OFI (2020): Lebensmittel – Verpackungen – Nachhaltigkeit: Ein Leitfaden für Verpackungshersteller, Lebensmittelverarbeiter, Handel, Politik & NGOs. Entstanden aus den Ergebnissen des Forschungsprojekts „STOP waste – SAVE food“, Wien.
Kahneman, Daniel. Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler Verlag, 2012.